Aufgenommen in Wernau …

… so heißt der Titel der Ausstellung, die derzeit im Wernauer Quadrium zu besichtigen ist, eine Ausstellung, die nach den Worten von Herrn Bürgermeister Armin Elbl ganz anders ist als alle bisherigen Ausstellungen im Quadrium. Aufgenommen in Wernau: Bilder mit dem Fotoapparat aufgenommen, aber auch aufgenommen im Sinne von „willkommen geheißen“ oder „angekommen“. Der Künstler Sebastian Schmid, Pastoralreferent, Theologe und Sozialpädagoge, hat das Projekt ins Leben gerufen, mit Unterstützung der Stadt Wernau und des Freundeskreises für Flüchtlinge in Wernau.

16-07-11 PM WAZ Aufgenommen

Bei der Vernissage am 5. Juli im Großen Saal der Stadthalle
sind nur noch wenig Stühle frei. Trommelmusik begrüßt die BesucherInnen. Neben der Eingangstür ist ein großartiges Buffet aufgebaut, mit Spezialitäten aus Syrien, Gambia, Pakistan und Eritrea. Eigens für die Vernissage und die anschließende Infoveranstaltung haben sich einige der Wernauer Flüchtlinge mächtig ins Zeug gelegt und Spezialitäten aus ihren Heimatländern zubereitet, die in der kurzen Pause zwischen Vernissage und Infoveranstaltung genossen werden können und die einen Blick auf die unterschiedlichen Länder werfen.

Vorne und hinten im Saal hängen an einer Wäscheleine großformatige Fotografien mit den unterschiedlichsten Motiven von Wernau. Neben jedem Foto stehen Sätze, die von den 24 FotografInnen formuliert wurden, Sätze, in denen die Bedeutung der Fotos für den Fotografen, die Fotografin erläutert werden. 12 Wernauer Flüchtlinge und 12 WernauerInnen waren von Sebastian Schmid mit jeweils einer Einwegkamera ausgestattet worden, um zu fotografieren, was ihnen in Wernau wichtig ist, was für sie Wernau bedeutet. Einwegkameras deshalb, um beim Fotografieren jeder/m die gleichen Voraussetzungen zu geben, um Fotos zu erhalten, ohne Zoom und ohne Bearbeitung ein Stück unverfälschtes Wernau.

In den Fotos an der Wäscheleine spiegelt sich das Licht. Je nachdem, wo der Betrachter steht, wirkt das Bild anders, unschärfer, heller, bringen die Lichtspiegelungen andere Effekte hervor. Die Wellen, die durch das Aufhängen an der Leine hervorgerufen werden, erinnern den einen an Wasser, den anderen an Bewegung. Oder ist es Imperfektion? Auf einigen der Fotos ist der Neckar abgebildet. Für den einen ist er Verkehrsweg, für die andere der Fluss, den sie täglich auf der Neckarbrücke mit dem Auto überquert, der nächste verbringt gerne seine Freizeit am Neckarufer. Sebastian Schmid lässt zwei der Fotografen zu Wort kommen. Frau Hanninger aus Wernau hat ebenso wie Arfang Jarjou aus Gambia den Friedhof St. Erasmus fotografiert. Für sie ist dies ein Ort der Ruhe mitten in einer pulsierenden Stadt, für ihn ist der Friedhof Arbeitsplatz und damit ein Stück Sicherheit in seinem unsicheren Leben.

Warum ist die Wäscheleine an einer Leiter befestigt? Der Künstler besteigt die Leiter und rezitiert eine Passage von John Keiting, dem Lehrer aus dem Film “ Der Club der toten Dichter“: „Gerade wenn man glaubt, etwas zu wissen, muss man es aus einer anderen Perspektive betrachten, selbst wenn es einem albern vorkommt oder unnötig erscheint. Und wenn Sie etwas lesen, vollziehen Sie nicht nur die Gedanken des Autors, berücksichtigen Sie auch, was Sie denken. Gentlemen, Sie müssen sich um eine eigene Perspektive bemühen.“ Die eigene Perspektive ist das, was unser Leben ausmacht, wie wir unser Leben gestalten, Teil unserer Vergangenheit und Teil unserer Zukunft. Manchmal aber kann es notwendig oder hilfreich sein, die eigene Perspektive zu wechseln, Dinge von einem anderen Standort oder auch von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten. Wie sieht der andere die Dinge und warum? Oft müssen wir gar nicht auf eine Leiter steigen oder physisch einen anderen Standort einnehmen, es reicht aus, anderen zuzuhören, uns in andere hineinzuversetzen, um Dinge anders zu sehen und vielleicht besser verstehen zu können. Das heißt nicht, dass unsere Position falsch ist, aber es führt vielleicht zu einem neuen Verständnis und zu mehr Akzeptanz für andere Sichtweisen.

Deutlich wurden die unterschiedlichsten Sichtweisen direkt im Anschluss an die Vernissage bei der Informationsveranstaltung, die die Stadt Wernau zu den vorhandenen und geplanten Unterbringungsmöglichkeiten für die in Wernau lebenden Flüchtlinge durchführte. Was für die einen Vielfalt bedeutet, ist für andere schlicht die Notwendigkeit, Menschen in Not zu helfen. Viele haben sich zum Ziel gesetzt, mit der Tatsache, dass die Flüchtlinge bei uns leben, möglichst positiv umzugehen. Für wieder andere heißt es, Nachbarn mit anderen Lebensweisen und auch anderen Tagesrhythmen zu haben, die mit den unseren nicht übereinstimmen und daher zu Konflikten führen. Hier ist es wichtig, aufeinander zuzugehen und bereit zu sein, auch die Position bzw. die Perspektive des anderen zu berücksichtigen. Rücksichtnahme und Toleranz werden in Zukunft von beiden Seiten erforderlich sein, um in guter Nachbarschaft nebeneinander leben zu können. Nur so können die vorhandenen Ängste auf der Seite der WernauerInnen wie auf auf der Seite der Flüchtlinge abgebaut werden.

Die Informationsveranstaltung in Verbindung mit der Vernissage war hierfür sicher ein sehr gelungener Rahmen und bot eine schöne Gelegenheit, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Andere Perspektiven einnehmen, anderen die eigene Perspektive näher bringen:

Kommen Sie ins CaféCult in der Kirchheimer Straße 35. Immer mittwochs und samstags von 17-20 Uhr besteht die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen, sich auszutauschen, andere Perspektiven einzunehmen. Sie sind herzlich dazu eingeladen.