Abschied von Ilse Jünger

Ilse Jünger, Dipl. Sozialarbeiterin (FH), verlässt die Flüchtlingsbetreuung der AWO in Wernau und wechselt in einen anderen Tätigkeitsbereich des AWO Kreisverbandes Esslingen.

(Freundeskreis, fk) Liebe Ilse, nach 4-jährigem Einsatz in der Wernauer Flüchtlingsarbeit hast du nun deinen Einsatzort gewechselt. Was wirst du zukünftig machen, was ist dein nächster Aufgabenbereich?

(Ilse Jünger, ij) Meine Arbeit wird sich nun auf die Koordination Ambulanter Hilfen beim AWO Sozialdienst für Flüchtlinge konzentrieren und insbesondere auch bei Hilfen zur Erziehung in den Flüchtlingsfamilien. Ich habe die Teamleitung u.a. /Hilfen zur Erziehung wie auch der Sozialpädagogischen Familienhilfe, die systemtherapeutische kollegiale Fallberatung, und übernehme selbst auch einzelne Familien, um nicht die Basis aus den Augen zu verlieren. Die intensive sozialpädagogische Familienhilfe kommt überall im Landkreis bei Flüchtlingsfamilien zum Einsatz, wo es großen Bedarf gibt und die Sozialen Dienste vom Jugendamt uns anfragen. Wir haben im Mai 2018 gestartet. Dabei freue ich mich vor allem auch auf die Arbeit mit den Eltern und den Kindern, dies ist u.a. eine meiner Lieblingstätigkeiten, da ich lange in der aufsuchenden Familientherapie gearbeitet habe und mir Familien besonders am Herzen liegen.

(fk) Wie fühlst du dich dabei, den Standort Wernau zu verlassen? Erleichtert oder eher wehmütig?

(ij) Ich war sehr gerne in der Flüchtlingsberatung und Betreuung tätig und schaue schon etwas wehmütig auf die Schließung des Containerdorfes und die Verlegung der Flüchtlinge vom Bad-Hotel in Wernau an andere Standorte zurück, freue mich nun aber auch auf meine neue Tätigkeit.

(fk) Was waren deine Hauptaufgaben in Wernau? (ij) Meine Hauptaufgabe war die psychosoziale Betreuung und Asylberatung der noch nicht anerkannten Geflüchteten. Überwiegend war ich mit Organisatorischem beschäftigt: wen kann ich auf welcher Schule anmelden? Welche Formulare sind auszufüllen? Welche Behördengänge oder Arzttermine sind notwendig und braucht der Geflüchtete hierbei Begleitung? Hier war ich in regem Kontakt mit den Wernauer Ehrenamtlichen, die in wunderbarer Weise die Flüchtlinge unterstützt haben. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Wernauer Rathaus und hier vor allem Herr Bürgermeister Elbl und Amtsleiter Herr Deginus haben mich in einzigartiger Weise unterstützt. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle von ganzem Herzen bedanken.

Daneben war ich auch ein mütterliches Ohr für die jungen Männer, die herausgerissen aus ihren Familien in der neuen Umgebung zurechtkommen mussten. Viele der Männer sind sehr jung, ihnen fehlen die Ansprache und der familiäre Rückhalt.

(fk) Welches waren deine eindrücklichsten Erlebnisse? (ij) Die gambischen jungen Männer haben mich von Anfang an Mama Afrika genannt. Zuerst war ich verblüfft, habe dann aber herausgefunden, dass sie dies als Respektsbekundung meinten. Wenn ich in mein Büro kam, das ja im Containerdorf eingerichtet war, wurde mir sehr respektvoll begegnet. Machte einer Unruhe, waren sofort andere da, die ihn zurechtwiesen. Ich wurde schon öfter gefragt, ob ich keine Angst hätte als Frau im Containerdorf. Nein, die hatte ich nie. Ich hatte stets ein gutes Gefühl.

(fk) Welches waren deine schönsten Erlebnisse? (ij) Am schönsten war es für mich, als die ersten Familien nach Wernau kamen. Anfangs waren ja vor allem die syrischen, dann die gambischen Männer nach Wernau gekommen. Ende 2015 gab es dann die ersten Familiennachzüge. Das war sehr schön, ist dies doch meine eigentliche Leidenschaft.

(fk) Und was hat dir am meisten zu schaffen gemacht? (ij) Das ist in der Tat kein Einzelerlebnis, sondern die Tatsache, dass viele der Geflüchteten keinerlei Aussicht auf eine Bleibemöglichkeit haben. Die Gambier beispielsweise haben in der Regel keine Perspektive hierzubleiben. Schwierig daran finde ich, dass die Asylverfahren oft lange dauern und die Geflüchteten bis dahin in der Ungewissheit leben, wie es für sie in der Zukunft weitergehen wird. Das schlägt manchen Geflüchteten auf die Gesundheit und die Psyche.

(fk) Du hast in der Zeit sicher auch einige Erlebnisse nach Feierabend mit nach Hause genommen. Wie schaffst du es, dich von dem Erlebten nicht zu sehr bedrücken zu lassen? Hast du hier bestimmte Strategien? (ij) Das kann ich  gut, Arbeit von Privatem zu trennen, dies war Teil meiner Ausbildung. Wenn ich mich zu sehr auf die schrecklichen Erlebnisse der Geflüchteten einlassen und mitleiden würde, könnte ich meiner Arbeit nicht mehr nachgehen. Mitgefühl habe ich trotzdem.

(fk) Hat die Flüchtlingsarbeit dein Leben beeinflusst/verändert? (ij) Ja. Eindeutig. Obwohl ich vor meiner Tätigkeit bereits mit Migranten gearbeitet habe und auch im privaten Umfeld durchaus gute Kontakte zu ausländischen Mitbürgern habe, hat sich meine Sicht auf die Welt doch etwas geändert. Hier möchte ich beispielhaft die Unterscheidung in Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge nennen. Ich kenne keinen aus meinem Bekanntenkreis, der nicht, um seine Familie ernähren zu können, ein besseres Land suchen würde.

Hier wäre auch zu betonen, dass die westliche Welt nicht ganz unschuldig ist an der Situation in vielen Kriegs – und Krisengebieten. Wir haben in den letzten Jahrhunderten sehr gut von diesen Gebieten gelebt, angefangen bei günstigen Lebensmitteln oder bei Rohstoffen, die dort ausgebeutet wurden. Nun müssen wir etwas von unserem Reichtum abgeben. Zudem habe ich größten Respekt vor den jungen Männern, die sich unter unvorhersehbaren Risiken und Lebensgefahr auf den Weg in ein besseres Leben gemacht haben. Diese Gefahren nimmt man nicht auf sich, um einfach nur ein besseres Leben zu führen.

(fk) Wo siehst du Nachholbedarf bei der Flüchtlingsarbeit? Was läuft schlecht, was gut? Was könnte noch verbessert werden? (ij) Die Länge der Verfahren, das habe ich ja schon angesprochen. Die Menschen müssen zügige Verfahren bekommen. Zwei oder drei Jahre warten, deutsch lernen und sich mit unserer Kultur auseinandersetzen, und dann einen Abschiebebescheid zu bekommen, das ist schon sehr hart.

(fk) Wir sind sehr traurig, dass du nun nicht mehr in Wernau bist. Es war sehr schön und konstruktiv, mit dir zu arbeiten. Sehen wir uns auch in Zukunft nochmal wieder? (ij) Ja, das hoffe ich sehr (lacht). Ich suche in Wernau gerade eine Wohnung, eine mit 3,5 oder 4 Zimmern. Wernau habe ich zu schätzen gelernt und liebgewonnen und mein Mann und ich möchten gerne unsere Zukunft hier verbringen. Falls ihr also von einer bezahlbaren Wohnung wisst, lasst es mich bitte wissen.

Das Gespräch führten für den Freundeskreis Gertraud Sieler, Sabine Rau und Christine Baur-Fewson