Gambia, ein sicheres Herkunftsland?

Derzeit diskutiert der baden-württembergische Innenminister, ob Gambia zu einem sicheren Herkunftsland erklärt werden soll.
Was ist ein sicheres Herkunftsland?
Keine Verfolgung, keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, keine Androhung von Gewalt, kein bewaffneter Konflikt sind die Kriterien für die Einstufung, wie der EU-Liste der sicheren Herkunftsländer entnommen werden kann. Ist ein Land als sicheres Herkunftsland bezeichnet, so gibt es für Flüchtlinge kaum eine Möglichkeit, in Deutschland Asyl zu erhalten.

Treffen diese Kriterien für sichere Herkunftsländer auf Gambia zu? Warum hat Gambia als kleinstes Land des afrikanischen Festlandes die höchste Emigrationsquote? Sind alle Gambier, die ihr Land verlassen, nur auf der Suche nach einem besseren Leben, oder gibt es andere Gründe, warum sie ihr Land, ihre Familien, ihre Heimat verlassen?

Seit 1994 regiert in Gambia, das auch gerne als „smiling coast of Africa“ bezeichnet wird, der Diktator Yahya Jammeh das Land. Durch einen Militärputsch an die Macht gekommen, häufen sich die Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Es gibt dort Folter, Hinrichtungen, fehlende Gerichtsbarkeit, Verfolgung Homosexueller, um nur einige der Rechtsverletzungen zu nennen. Oppositionspolitiker werden verhaftet, gefoltert und ermordet, Demonstranten ins Gefängnis gesteckt. Im Dezember 2015 wurde das Land von Jammeh zum islamischen Staat erklärt.

Spricht man mit gambischen Flüchtlingen, die nach Deutschland geflohen sind, dann erfährt man Folgendes: Im gesamten Land herrscht allgemeines Misstrauen. Keiner weiß, wer mit dem System unter einer Decke steckt. Diese Worte weisen Parallelen zur deutschen Geschichte auf. Spitzel, Drohungen, ein falsches Wort, und man hat ein Problem mit der Regierung. Oft genügt auch ein Gerücht. Ein falsches Wort, ein Gerücht, und man verschwindet. Für immer. Die Gefängnisse in Gambia – wir können es uns nicht vorstellen. Es ist nicht nur die direkte Bedrohung durch Folter und Mord, von der die Gefangenen umgeben sind. Überfüllung, fehlende medizinische Versorgung, völlig unzureichende hygienische Verhältnisse und Lebensmittelmangel machen die Haftanstalten zu einer Einbahnstraße; einmal dort angekommen, gibt es kein Zurück mehr. Um dem sicheren Tod zu entgehen, begeben sich die bedrohten Männer auf die Flucht. Viele lassen sich vor ihrer Flucht von ihrer Frau scheiden, dass diese keine Repressalien zu erleiden hat.

Wenn man sich dies alles bewusst macht, glaubt man der Aussage eines Flüchtlings, dass für ihn das Wichtigste seine Familie ist. Er hat seine Familie verlassen, weil sein Leben in Gefahr war, nicht, weil er sich in Europa ein besseres Leben erhofft hat. Ohne vorherige Planung, ohne Überlegung, wohin ihn seine Reise bringen wird, musste er 2011 Hals über Kopf seine Frau, seine Kinder, sein Haus, sein Land verlassen. Er weiß noch nicht, wohin ihn seine Reise führen wird. Er flieht nach Senegal, von dort weiter nach Mali, Burkina Faso, Niger und dann nach Libyen. Unterwegs muss er Gelegenheitsjobs annehmen, um das Geld für die nächste Etappe aufzubringen. Er wird ausgeraubt, muss „Zoll“ zahlen, ist der Korruption, die sich auf dem Hauptfluchtweg durch das nördliche Afrika etabliert hat, schutzlos ausgeliefert. Bekommt er seinen Lohn für die Arbeit, die er geleistet hat, um seine Flucht fortzusetzen, oder hat er, wie schon öfter geschehen, wieder umsonst gearbeitet?

Der Weg durch die Wüste ist unmenschlich. Viele schaffen die Strecke nicht. Sie werden gefoltert, weil sie die Schutzzölle nicht aufbringen können, oder sie verdursten in der Hitze der unendlichen Wüste. Aus diesem Grund trifft man auch verhältnismäßig wenig Frauen, die sich auf die lange, gefährliche Flucht begeben. Diejenigen, die es bis nach Libyen schaffen, sind wieder vor neue Probleme gestellt. Flüchtlinge sind dort völlig rechtlos, werden ausgebeutet und gefoltert. Ihre Hoffnung, in Libyen eine neue Zukunft aufbauen zu können, wird schnell zur Hoffnungslosigkeit. In staatlichen und nichtstaatlichen Aufnahmelagern warten sie auf eine Überfahrtmöglichkeit über das Mittelmeer. Können sie die von Schleppern geforderten Geldleistungen nicht bezahlen, drohen Folter, Vergewaltigung und Ermordung. Bringen sie das Geld für die Überfahrt nach Italien auf, so geht die Angst weiter. Manövrierunfähige Boote, drogenabhängige Kapitäne und viel zu viele Menschen an Bord machen die Fahrt oft zu einer Todesfahrt. Seit 2014 sind weit mehr als 10.000 Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrunken. 2016 liegt die Zahl Ertrunkener im Oktober bereits über der Gesamtzahl von 2015. Das Mittelmeer, Urlaubsziel vieler Mitteleuropäer, ist zum Massengrab Afrikas geworden.

Wer es nach all den Strapazen tatsächlich nach Deutschland geschafft hat, kann sich nicht allzu lange in Sicherheit wiegen. Die Flüchtlinge aus Gambia werden wie andere Flüchtlinge registriert und auf Gemeinschaftsunterkünfte der Landkreise verteilt. Sie erhalten ein Dach über dem Kopf und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Anders als bei Flüchtlingen aus Bürgerkriegsländern aber ist der Zugang zu staatlich finanziertem Sprachunterricht schwierig, ist die Chance, eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten, äußerst gering. In letzter Zeit häufen sich die Briefe, die eine bevorstehende Abschiebung ankündigen. Selbst diejenigen, die eine feste Arbeitsstelle aufweisen, sind davon nicht verschont. Hinzu kommt, dass die meist jungen Männer ständig von Angst umgeben sind. Die Nächte sind am schlimmsten. An Schlaf ist meist nicht zu denken, so groß ist die Furcht, mitten in der Nacht von Polizisten und deren Polizeihunden abgeholt zu werden. Von Sicherheit kann hier keine Rede sein. Wagt tatsächlich einer der jungen Männer, über seine Situation zu reden, hat er Tränen in den Augen und es treibt ihn die Angst um, jemand könnte von seiner Geschichte erfahren. So ist es nicht verwunderlich, dass jeder einzelne von ihnen, obwohl sie zusammen in großen Gemeinschaftsunterkünften leben, von seinem Nachbarn nicht viel mehr weiß als dessen Namen. Sie sind verschlossen, wenn es um sie selbst geht. Am liebsten würden sie in ihre Heimat zurückkehren, das ist jedoch unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht möglich. Sie haben große Angst davor, in ihre Heimat abgeschoben zu werden, da dort Gefängnis und womöglich der Tod drohen.

Am 6. Dezember ab 17 Uhr wird der Freundeskreis Flüchtlinge Wernau im Rahmen einer landesweiten Aktionswoche vor dem Wernauer Quadrium auf die Situation in Gambia aufmerksam machen.